Sehr geehrter Herr König,
die Debatte um das geplante ICE-Instandhaltungswerk betrifft die Stadt Nürnberg in besonderem Maße, wurde doch zu Anfang wiederholt betont, wie wichtig dieses Werk für den Standort und die einstige “Eisenbahnerstadt” Nürnberg sei. Auch als sich herausstellte, dass frei werdende Flächen des Rangierbahnhofs – immerhin einer der größten dieser Bauart – nicht mehr dafür herangezogen werden konnten und der Fokus der Bahn auf den Standort Altenfurt/ Fischbach rückte, waren die Stimmen aus Nürnberg zu hören. Dieses Mal freilich gegen das Werk an diesem Standort, dessen Verhinderung sich Ihre Partei im Bundestagswahlkampf 2021 plakativ auf die Fahnen schrieb.
Seit die Diskussion auf die drei möglichen Standorte fiel, die sich jetzt in der entscheidenden Phase des Raumordnungsverfahrens befinden, ist aus Nürnberg und speziell aus dem Rathaus wenig zu hören. Sicher – gelegentlich wurde den örtlichen Bürgerinitiativen im Umland das Sankt-Florians-Prinzip unterstellt, wenn auch nicht direkt aus Ihrem Mund. Nürnberg ist dieses Prinzips im Übrigen unverdächtig: Auch die verbliebenen Standorte betreffen die Stadt und ihre Region nicht nur mittelbar, sondern direkt, wenn sie auch kaum oder nicht mehr innerhalb der städtischen Gemarkung liegen. Die MUNA (einstige Heeresmunitionsanstalt Feucht) und das Jägerseegebiet grenzen freilich direkt an, der Bereich Allersberg/ Harrlach liegt grob 10 Kilometer weiter südlich.
Sie alle sind (wie der nicht mehr projektierte Standort Altenfurt) bestanden mit geschütztem Bannwald im Bereich des Lorenzer Reichswaldes, der seit Jahrhunderten nicht nur seines Namens wegen aufs Engste mit Nürnberg verbunden ist. Eine Rodung dieses Areals betrifft Nürnberg direkt, und daher wenden wir uns an Sie. Die gesellschaftliche Relevanz des Themas erklärt die Form des offenen Briefs, der auch an die entsprechenden Gemeinde-/Stadtteilblätter weitergegeben und auf unserer Web-Präsenz (www.reichswald-bleibt.de) zu lesen sein wird.
Dass der Arten- und Gewässerschutz durch ein Projekt dieser Größenordnung beeinträchtigt wäre und dies indirekt auch die Bewohner der angrenzenden Großstädte betrifft, soll hier gar nicht weiter ausgeführt werden. Andere Punkte betreffen Ihre Stadt und deren Bürger weiterhin direkt.
Arbeitsplätze?
Um dies vorweg zu nehmen: Jeder Arbeitsplatz ist bedeutsam und kann ein Argument für ein raumplanerisches Projekt sein. Wenn diese Arbeitsplätze aber massiv auf Kosten des Schutzes von Gewässern, Artenvielfalt und insbesondere Klima gehen, muss dieses Argument zurückstehen, zumal viele der von Bahnseite genannten 450 Arbeitsplätze wohl nicht raumwirksam an Subunternehmen vergeben werden oder technisch-logistische Bereiche betreffen, bei denen sich die Metropolregion der Vollbeschäftigung nähert. Alles wertige Arbeitsplätze, sicher. Sie dürfen aber nicht auf Bannwaldflächen entstehen, zumal andere, nicht mit Wald bestandene Areale im Gespräch sind.
Nürnbergs Klimaanlage
Sommer mit Hitzeperioden und akuter Waldbrandgefahr werden zur Regel, besonders im mittelfränkischen Becken, das aufgrund seiner Topographie und Lage ohnehin zu den wärmsten und trockensten Gebieten in Bayern gehört – der Klima-Report der Staatsregierung von 2021 verdeutlicht dies, und die Dokumentation auf den Seiten der Stadt selbst (“Wir machen das Klima”), zeigt gut belegt, wie stark Nürnberg von diesen Aspekten des Klimawandels bereits jetzt betroffen ist. Das Stadtklima ist kein Pluspunkt dieser weit überdurchschnittlich eng bebauten, stark versiegelten und – trotz Pegnitztal und Dutzendteich – an Grünflächen vergleichsweise armen Stadt. Stadtgrün und Erhalt der Kaltluftschneisen – dies war auch zentrales Thema des auf ihrer Web-Präsenz verfügbaren Stadtklimagutachtens von 2014, das seinerzeit auch noch 321 Hektar “Baupotentialflächen mit hohem Konfliktpotential” auswies. Seitdem wird Nürnberg baulich weiter massiv verdichtet (das ehemalige VW-Kraus-Areal mag als ein Beispiel dienen) und versiegelt, teils wieder auf Kosten des Reichswaldes (Regensburger Höfe).
Nürnbergs Klimaanlage und Frisch-/Kaltluftgenerator liegt also, das ist Ihnen freilich bekannt, nicht in der Stadt, sondern in ihrem direkten Umgriff: Es ist der Reichswald, und es kann Ihnen als Oberhaupt dieser Stadt keinesfalls gleich sein, wenn über 40 Hektar dieses für das Stadtklima unersetzlich wichtigen Waldes fallen, ganz gleich ob diese im Stadtgebiet (Altenfurt/ Fischbach) oder direkt angrenzend in den umliegenden Landkreisen liegen. Diese Fläche müsste zu dem Verlust am Bannwald im Lorenzer Reichswald gezählt werden, der für Infrastrukturprojekte in jüngster Zeit fiel (Ausbau der Autobahnkreuze und der A6) oder noch fallen wird (Stromtrasse P53 – über 50 Hektar). Die Frischluftschneise von Südosten würde durch ein ICE-Werk auf der MUNA oder südlich davon massiv unterbrochen werden, und Gewerbegebiete heizen die Luft eher noch zusätzlich auf. Diesen Wald zu fällen kann nicht recht sein. Es ist halt billig. Ein Nutzen für die Stadt Nürnberg ergibt sich daraus nicht.
Die Bewohner des Nürnberger Südostens – Langwasser, Altenfurt, Moorenbrunn – sind von einem ICE-Werk auf der MUNA nicht minder betroffen als von einem im Reichswald bei Altenfurt. Im Gegenteil: Keine Siedlung läge diesem Werk so nahe wie Moorenbrunn. Es ist davon auszugehen, dass sich die Menschen in diesen Stadtteilen das Werk ebenso wenig wünschen wie die Menschen in Feucht oder Röthenbach b. St. Wolfgang/ Wendelstein. Über 20.000 Einwendungen gegen das Raumordnungsverfahren (die ‘stille Ablehnung’ in den betroffenen Orten noch gar nicht einberechnet) sprechen für sich: Dieses Werk würde ausdrücklich gegen den Willen eines Großteils der Bevölkerung entstehen. Dazu kommen meist einstimmige, stets aber eindeutige Beschlüsse des Kreistags in Roth und den Marktgemeinderäten von Feucht und Wendelstein. Lieber Marcus König, es wird Zeit, dass sich die Stadt Nürnberg hier anschließt.
Keine angemessene Sanierung der MUNA
“Aber es ist doch gut, wenn die MUNA saniert wird,” bleibt oft als letztes Argument im Raum. Nur, dass der gefährlichste Teil des Gebiets, der sogenannte ‘Sarkophag’, in dem v.a. große Bestände von Senfgas (‘Lost’) lagern, gar nicht saniert werden wird, sondern nur die Flächen, welche die Bahn auch wirklich bebaut. Dafür werden sowohl beim Standort MUNA als auch beim Standort Jägersee die Gleise des Werks bis auf ca. 40 Meter an ihn heranreichen. Falls es zu einem Gasaustritt, gar einer Explosion kommen würde, müssten auch die genannten Nürnberger Stadtteile evakuiert werden – einschließlich des Klinikums Süd (sowie wohl auch des Krankenhauses in Rummelsberg). Und das bei zusätzlich durch das Werk beanspruchter Verkehrsinfrastruktur.
Eine Sanierung der MUNA befürworten übrigens auch wir. Aber schrittweise, unter Erhalt eines der reichhaltigsten Waldökosysteme im Nürnberger Umland. In der Tat: Was hier seit 70 Jahren wächst, ist alles andere als ‘Steggerlaswald’. Und über Generationen hinweg klimawirksamer als jede neu angepflanzte Ausgleichsfläche.
Die negativen Folgen eines ICE-Werks auch und vor allem für die Nürnberger übersteigen die positiven Aspekte (vor allem für die Bahn) bei weitem. Verkehrswende geht auch anders.
Sehr geehrter Herr König, wir bitten Sie und den Rat der Stadt Nürnberg daher, dieses Werk auf allen drei Standorten im Bannwald aus ökologischen und gesellschaftlichen Gründen abzulehnen und gegen das Vorhaben der Bahn Stellung zu beziehen. Die Stimme Nürnbergs und ihres Oberbürgermeisters ist von hoher Tragweite und kann zukünftige Hitzeopfer in der Stadt verhindern. Sie möge im Sinne ihrer Bürger vernehmbar werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Georg Spiegel, Röthenbach b. St. Wolfgang
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